Für Evelyn Torton Beck ist Sacred Dance mehr als nur Bewegung – es ist eine spirituelle Praxis, eine Form der Verbundenheit und ein Weg der Heilung. Seit vielen Jahrzehnten tanzt die heute 92-Jährige auf der ganzen Welt und leitet eine regelmäßige Frauentanzgruppe, mit der sie durch die wiederholte Praxis der Tänze immer tiefer in ihre Bedeutung eintaucht. Nach einem bewegten akademischen Leben – mit Studien in Vergleichender Literaturwissenschaft, einer Dissertation über Franz Kafka und den Einfluss des jiddischen Theaters, sowie einem zweiten Doktorat in klinischer Psychologie über Frida Kahlo und Kafka – hat sie sich nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als feministische Pionierin in der Gender-Forschung und Frauenbewegung einen Namen gemacht. Sacred Dance entdeckte sie auf einer Tagung zur Poesietherapie – und blieb seitdem dem Tanz und seiner transformierenden Kraft treu. Inzwischen lebt sie mit einer körperlichen Einschränkung, die ihre Tanzpraxis verändert hat. Im Gespräch mit Larissa Breitenegger spricht sie über ihren Zugang zum heilenden/heiligen Tanz, über gelebten Widerstand, Heilung durch Gemeinschaft – und über die Kunst, mit dem Wandel zu tanzen.

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Evelyn, du hast einen beeindruckenden Werdegang. Erzähl uns doch zunächst ein wenig über deinen beruflichen und persönlichen Hintergrund.

Ich wurde 1933 in Wien geboren – in einem Jahr, in dem Hitler an die Macht kam. Mein Vater wurde unter dem NS-Regime verhaftet und kam in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau. Nach seiner Freilassung flohen wir zuerst nach Italien, dann in die USA. Dort bin ich aufgewachsen – in Armut, die mich sehr geprägt hat. Ich lebte lange zu Hause, auch während meines Studiums.

Ich studierte Vergleichende Literaturwissenschaft. Nach einer Pause – ich heiratete und bekam zwei Kinder – schrieb ich meine Dissertation über Franz Kafka und den Einfluss des jiddischen Theaters auf sein Werk. Schon früh retteten mich Bücher und der Tanz. In Brooklyn habe ich erste Tanzerfahrungen gemacht. Besonders die Gemeinschaft, die beim Tanzen entsteht, war und ist für mich sehr wichtig – sie hat mir durch schwere Zeiten geholfen.

Die Kunst kam später zu meinem Leben dazu. In New York City waren die Museen wie Zufluchtsorte. Ich wusste nicht genau, warum sie mich so anzogen, aber sie waren aufregend und gleichzeitig beruhigend. Vielleicht suchte ich andere Welten, denn die Nachkriegszeit war für mich sehr schwierig – meine Großmutter, Tante und Onkel sowie mehrere Freunde wurden ermordet.

In meiner wissenschaftlichen Arbeit zeigte ich, wie tief Kafka in der jiddischen Welt verwurzelt war. Später veränderte die zweite Frauenbewegung auch meine Forschung. Ich begann, Frauen in Literatur, Kunst und Tanz zu untersuchen – interdisziplinär und mit einem feministischen Blick. Mein zweiter Doktor war in klinischer Psychologie, mit einer Arbeit über die Parallelen zwischen Frida Kahlo und Franz Kafka. Beide hatten ein tiefes Leiden, aber während Kafka das Dunkle in Worte fasste, nutzte Kahlo starke Farben und Bilder. Schmerz kann Ausdruck finden – das hat mich fasziniert.

Wie hast du schließlich zum Sacred Dance gefunden?

Zum Sacred Dance kam ich über eine Tagung zur Poesietherapie. Eine meiner Studentinnen, die auch Tanztherapie machte, meinte: „Evi, du musst da hin.“ Gleich zu Beginn wurde ein griechischer Volkstanz getanzt – ich wusste sofort: Das ist mein Zuhause. Ich tanzte fortan regelmäßig, überall wo ich war. Sacred Dance wird weltweit praktiziert – begonnen hat es in Findhorn, aber es gibt Gruppen in Südamerika, Asien, Südafrika, Kanada und vielen anderen Ländern.

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Welche Bedeutung hat der Tanz für dich – damals und heute?

Tanz ist für mich eine transformierende Kraft. Wenn wir tanzen, halten wir einander an den Händen. Das ist sehr wichtig für mich: Wir spüren, dass wir mit den anderen sind, und Teil eines größeren Ganzen. Manchmal kann man wie in eine andere Welt transportiert werden. Es tritt das Gefühl ein, in der „größeren Welt“ zu sein.

Ich bin durch den Tanz weicher geworden, ärgere mich weniger als früher. Im Tanz passiert eine Integration und Transformation. Die Musik ist so schön, sie geht durch den Körper – das lässt sich schwer erklären. Wenn wir tanzen, lassen wir das Weltliche los und sind einfach im Moment. Wir tanzen für Frieden, Heilung und Gleichberechtigung. Ich glaube wirklich: Wenn wir mehr tanzen und weniger kämpfen würden, wäre die Welt eine bessere.

Obwohl ich jüdisch bin, bin ich säkular. Der Tanz ist meine spirituelle Praxis.

Wie Meditation?

Für mich ist er mehr als Meditation – er verbindet mich auf tiefere Weise mit der Welt und mit mir selbst. Wir fühlen dass das ganze Universum in uns ist, wir in der großen Welt sind. Ich habe versucht, das wissenschaftlich zu erforschen, aber irgendwann aufgegeben. Es entzieht sich der Sprache.

Du hast mit körperlichen Einschränkungen zu kämpfen – wie beeinflusst das deinen Zugang zum Tanz?

Mein Körper hat sich sehr verändert. Ich konnte plötzlich nicht mehr gehen, aber mit viel Therapie habe ich es wieder gelernt – mit Rollator oder Stock. Ich tanze noch immer, auch wenn ich die Hände nicht mehr halten kann. Das ist nicht dasselbe, aber es ist besser als nichts.

Wir machen heute viele sitzende Tänze – auch online via Zoom mit Tänzerinnen weltweit, im Centerpiece. Das ist schön, aber nicht immer spirituell. Manche Sitz-Tänze verlieren für mich an Tiefe, wenn das Heilige darin fehlt. Ich suche immer das Heilende und Verbindende im Tanz.

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Evi Beck bei der Premiere ihres Filmportraits "Never in my wildest dreams" beim Feminist Friday im Mai 2025 im Wiener Admiralkino.

Gelangst du auch mit deiner Behinderung in größere Welten?

Nicht so intensiv. Vielleicht weil mein Körper nicht ganz heil ist: Meine Beine fühlen sich anders an, ein Bein ist teilweise taub. Vielleicht fließt die Energie nicht mehr richtig. Trotzdem bin ich dankbar, dass ich mich bewegen kann – ich gehe spazieren, schwimme, versuche aktiv zu bleiben und kann mir viele Tänze die ich im Stehen gelernt habe auch ins Sitzen „übersetzen“.

Hat sich dein Zugang zum Tanz über die Jahre verändert?

Ich habe mich im Laufe der Zeit sehr vertieft. Am Anfang tanzte ich mit Begeisterung, aber ohne große Tiefe. Heute gehe ich viel tiefer – sogar bei schnellen Tänzen. Das kommt mit der Zeit, wenn man die Schritte und Melodien im Körper trägt.

Je öfter man einen Tanz tanzt, desto tiefer kommt man. Was für mich von großer Bedeutung ist – und nicht jeder, der tanzt, würde da zustimmen: Für mich gibt es keine Fehler beim Tanz – nur Variationen. Solange man sich mit der Musik bewegt, ist alles gut. Wichtig ist, dass man nicht stehen bleibt.

Die Sacred Dance Community ist heute eher älter. Hast du Gedanken dazu, wie Sacred Dance auch in jüngeren Generationen Anklang finden könnte?

Ja, das stimmt – viele Tänzer*innen sind heute älter. Ich wünsche mir, dass der Tanz bleibt, in einer Form, die zur Zeit passt. Aber ich glaube nicht, dass man ihn „retten“ muss. Manche Tänze verschwinden, andere entstehen. Es kommt, wie es kommt.

Ich habe Seminare gehalten, etwa über „Heilende Frauen“, aber langsame Tänze wurden von den Studierenden nicht besonders gut aufgenommen. Vielleicht sind junge Menschen heute anders, wollen andere Formen der Bewegung. Wir können nur versuchen, etwas weiterzugeben – was daraus wird, liegt nicht in unserer Hand.

Sacred Dance hat für dich auch eine politische Dimension.

Tanz ist uns politisch sehr wichtig. Wir tanzen für eine bessere Welt. Für Frieden. Die Welt schaut so schlimm aus, und wenn wir zusammen tanzen, unterstützen wir uns: Das wird dann politisch.

Wenn vor jeder Sitzung getanzt würde, gäbe es weniger Streit. Der Tanz transformiert – auch den Geist. Mehr Männer im Tanz würden uns ebenfalls gut tun. In den USA fehlt diese Selbstverständlichkeit des Tanzes. Ein Grieche sagte mir einmal: Tanzen ist so wichtig wie Essen. Das trifft es. Vielleicht ist Tanz, weil er in unserer Gesellschaft eher weiblich konnotiert ist, nicht so beliebt bei uns. Das finde ich sehr traurig.

Ich glaube, wenn man tanzt, wird man spontaner im Leben. Auch wenn man mit vorgegebenen Schritten tanzt: irgendwie wacht etwas auf. Es macht weicher und spontaner im Leben.

Gibt es ein aktuelles Projekt, das dir besonders am Herzen liegt?

Ja – mein Projekt heißt: Kafka, Kahlo und ich. Ich bin neugierig und frage mich, warum mich diese beiden Künstler mein Leben lang begleiten. Ich habe Hunderte Vorträge zu ihren Gemeinsamkeiten gehalten und spüre, dass da noch etwas in mir arbeitet.

Was ist die Essenz deiner Tanzreise, die du mit uns teilen möchtest?

Am Ende unserer Tänze sprechen wir immer ein Segensgebet, das ich von Laura Shannon gelernt habe, und sie hat es von Zuleikha:

May all beings be healthy, may all beings be happy, may all beings be free from harm, may all beings be at peace, may all beings awaken and be free.

Wir bitten um heilende Gedanken für den Kopf, um Freude beim Sprechen im Hals, um Liebe im Herzen und Feuer im Bauch – den Mut, das Richtige zu tun. Dann schütteln wir die Energie in die Welt, uns einander zu, und nehmen sie zu uns.

Der rituelle Charakter des Tanzes ist mir sehr wichtig – und das geht auch den Frauen in unserer Gruppe so. Wir beginnen immer mit einem gemeinsamen Atemzug, nennen unsere Namen und unsere Intention für den Tanz.

Ob der „Sacred Circle“ Tanz bleibt, weiß niemand. Aber wenn man etwas in die Welt bringt, muss man es auch loslassen können.

Danke für deine Zeit und das Gespräch!

Evi Beck's Website findest du hier

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