"Das ist für mich die Befreiung der Frau: den Körper wieder in diesen Bewegungen schwingen zu lassen und sich zu erinnern"

Mit 25 Jahren gründete Bea Kleine-Wolf ihr eigenes Studio für Bauchtanz in Hannover – und begleitet seit über 40 Jahren Frauen auf ihrem Weg zu sich selbst.

In diesem sehr persönlichen Interview spricht sie über ihren Heilungsweg, über ihre tiefe Verbindung zu den „urweiblichen“ Bewegungen des Bauchtanzes und die politische Kraft, die darin liegt. Für Bea ist Tanz ein Weg der Befreiung und Heilung: Eine berührende Geschichte über Selbstheilung, die Magie von Frauenräumen und gelebte Weiblichkeit. Und insbesondere über eine Frau, die den Mut hatte, ihrer inneren Stimme zu folgen.

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Larissa: Vielleicht zum Einstieg: Magst du kurz erzählen, wie dein Zugang zum Tanz entstanden ist – speziell zum Bauchtanz?

Bea: Zum Tanz kam ich als Kind: Das war einfach etwas, das aus mir herauskam. Ich erinnere mich, dass ich als Kind dachte, ich werde mal Tänzerin. Musik war bei uns im Haus kaum präsent – aber mein Vater hatte zwei Schallplatten von meiner Tante: eine mit Klaviermusik und die Oper Carmen. Und auf die habe ich getanzt. Ich wusste als Kind intuitiv, wie diese Musik zu bewegen ist: Das hat mir die Musik gesagt.

Aber in meiner Familie war Tanz nicht gern gesehen, also habe ich irgendwann aufgehört. Als Jugendliche habe ich mir dann jedes Wochenende die Seele aus dem Leib getanzt.

Mit 20 vernahm ich plötzlich eine tiefe Sehnsucht – nach einer bestimmten Bewegung, und ich wusste, wie die Bewegung sich anfühlt. Ich begann zu suchen, verschiedene Sachen auszuprobieren.

In Hannover gab es ein großes Frauenfest am internationalen Tag der Frau. Die Frauenszene war sehr herb und streng, wir trugen Schwarz, kurze Haare. In diesem Jahr ist eine Frau in einem Bauchtanzkostüm auf die Bühne getreten. Sie sagte: „Ich möchte euch zeigen, dass Bauchtanz nicht das ist, was ihr denkt. Es ist kein Tanz, den man für Männer tanzt, sondern ein uralter Frauentanz. Frauen tanzen ihn traditionell miteinander und füreinander.“

Dann begann sie zu tanzen. Es war für mich sehr fremd – und gleichzeitig faszinierend. Dieser Eindruck blieb mir.

Kurz darauf war ich in einem Frauen-Gymnastikkurs. Es war sehr mechanisch, die Frauen unterhielten sich nebenbei. Das ging mir total gegen den Strich, wie man sich, wenn man sich bewegt, unterhalten kann. Das hat mich so wütend gemacht – ich bin aus dem Kurs rausgelaufen, auf den Flur, und bin genau in die Frau vom Frauenfest reingelaufen. Ich schaute sie an und hörte mich sagen: „Gibst du Unterricht?“ Und sie sagte: „Ja, kannst gleich mitkommen!“

Sie hatte im selben Zentrum gerade ihren ersten Bauchtanzkurs in Hannover gestartet.

Larissa: Wow, was für ein schöner Zu-Fall!

Bea: Ich bin ihr einfach hinterhergedackelt. Sie gab mir noch einen Gürtel – und ich habe mitgemacht. Und das war genau die Bewegung, nach der ich mich gesehnt hatte. Wo von innen heraus kam: das brauche ich jetzt.

Ich bin dann weiter in ihren Kurs gegangen und habe gelernt. Es ging ihr um die Befreiung des Frauenkörpers – darum, sich frei bewegen zu dürfen. Das spaltete die damalige Frauenbewegung. Die einen waren weiter auf der politischen Linie – Demos, Aufklärungsarbeit. Wir, die sich mit unserem Körper beschäftigten, seien nicht politisch. Aber für uns war es so: den Körper zu befreien, frei zu sein, das ist auch politisch.

Wenn eine Frau nicht frei ihr Becken bewegen darf, nicht lustvoll tanzen, nicht ihren Körper genießen kann – was ist das für eine Freiheit? Ist das nicht Politik?

Larissa: Wie hast du dann zu deinem eigenen Stil gefunden?

Bea: Ich habe angefangen, durch Deutschland zu reisen – ich wollte sehen, was andere Bauchtanzlehrerinnen machen. In jeder Stadt gab es eine Pionierin. Ich habe mir meine eigene Ausbildung zusammengestellt, wollte schauen: Was gefällt mir, was gehört zu mir, was gehört nicht zu mir? Ich schärfte mit der Zeit meinen eigenen Zugang und kombinierte Yoga mit Bauchtanz: Zuerst bei sich ankommen, im Innen landen, um sich dann von innen heraus zu bewegen.

Larissa: Was macht Bauchtanz eigentlich aus?

Bea: Eigentlich ist „Bauchtanz“ ein irreführendes Wort – du tanzt mit dem ganzen Körper. Der Begriff stammt von europäischen Reisenden, die im Orient Frauen sahen, deren Bauch sich bewegte – während in Europa Frauen noch in Miedern steckten. Deshalb hieß das dann hier in Europa „Bauchtanz“.

Viele sagen heute „orientalischer Tanz“, aber das führt auch oft zu Missverständnissen. Die Leute fragen dann: „Indisch? Oder wie?“ Also habe ich den Begriff „Bauchtanz“ beibehalten – auch weil ich ihn mag. Der Bauch ist ja unsere Mitte.

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Larissa: Und was ist das Besondere an den Bewegungen?

Bea: Isolation: es sind isolierte Bewegungen. Wenn ich mein Becken bewegen will, brauche ich im Oberkörper Festigkeit – und umgekehrt. Bauchtanz ist ein Ganzkörper-Tanz mit verschiedenen Zentren. Bewegungen können vom Handgelenk, der Schulter, dem Brustkorb, dem Becken ausgehen. Was es so besonders macht, ist die Betonung auf dem Becken. Es gibt dabei traditionelle, alte symbolische Bewegungsmuster wie Kreise oder Achten, oder bestimmte Schüttelbewegungen – daraus entsteht der Tanz.

Larissa: Du arbeitest dabei nicht mit Spiegeln, wie viele andere.

Bea: Ich gehe mit den Frauen übers Fühlen. Jeder hat eine Idee, was ein Kreis ist. Ich denke „Kreis“, gebe das an meinen Körper weiter – das Becken bewegt sich, vielleicht erstmal wie ein Ei. Egal. Wenn du das hunderte Male gemacht hast, wird es ein Kreis.

Am Schönsten finde ich zu sehen, dass jede Frau mit denselben Elementen ihren ganz eigenen Tanz tanzt. Du sollst Larissa tanzen, nicht Bea. Denn jeder Tanz drückt das eigene Leben, die eigene Gefühlswelt aus. Der freie Tanz erlaubt alles. Die Elemente schleichen sich von selbst in den freien Ausdruck ein – einfach, weil es Spaß macht und sich gut anfühlt.

Larissa: Du hast gesagt, du hattest schon mit 20 das Gefühl, dass da eine Bewegung in dir ist, und hast danach gesucht?

Bea: Ja, die war eigentlich schon immer da. Und das ist ein spannender Punkt – viele Frauen sagen mir: „Das ist verrückt! Als würde mein Körper sich erinnern.“ Es ist nichts Neues. Ich habe es neulich wieder erlebt: Ich war eingeladen, den 70. Geburtstag von einer Frau zu verschönern. Die hatte ihre acht besten Freundinnen eingeladen, die waren alle in dem Alter. Ich dachte zuerst, oh je – was, wenn die gar nicht tanzen wollen? Das Geburtstagskind hatte aber eine sehr dominante Art, ihren Freundinnen zu verklickern was jetzt heute passiert. Also haben wir zusammen getanzt, und ich war so überrascht. Die Frauen bewegten sich so selbstverständlich, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Und sie kamen schnell da hin, zu sagen: „Das ist etwas, das zum Körper gehört.“ Diese Bewegungen sind urweiblich, wir erinnern uns daran. Sie werden in verschiedenen Ländern auf verschiedene Art und Weise ausgedrückt, aber es ist etwas Urweibliches, was hier in unserer Gegend abgeschnitten wurde - und das ist für mich die Befreiung der Frau: den Körper wieder in diesen Bewegungen schwingen zu lassen und sich zu erinnern.

Larissa: Bauchtanz und Yoga kommen aus anderen Kulturen. Hast du auch etwas in der europäischen Tradition gefunden, das in diese Richtung deutet?

Bea: Das Einzige, was in diese Richtung deutet, ist die Walpurgisnacht.

Da trafen sich die Hexen auf dem Brocken und tanzten wild – und sie werden bestimmt keine höfischen Minuette getanzt haben. Und das gehört einfach dazu: den ganzen Körper mitzunehmen. Warum sind bestimmte Zonen tabu oder versteckt?

Was auch damit einhergeht, das konnte ich bei vielen Frauen beobachten: Dass sie durch den Bauchtanz ein neues Verhältnis zu ihrem Körper entwickeln, dass ihr Selbstwertgefühl sich verändert. Und dass Menstruationsbeschwerden abnehmen oder ganz verschwinden, wenn du deinem Zentrum die Aufmerksamkeit gibst, die es verdient. Man sagt ja: „Jemand dreht sich um den eigenen Nabel.“ Warum auch nicht? Es ist unser Zentrum.

Larissa: Was hat sich bei dir durch den Bauchtanz verändert?

Bea: Das ist schwer zu sagen. Als ich jung war, ging es mir nicht gut. Ich bin mit 18 von zu Hause ausgezogen, weil das Verhältnis zu meiner Mutter schwierig war. Ich dachte, dann wird alles besser – aber ich bin in ein Loch gefallen. Mit 21 habe ich Bauchtanz für mich entdeckt. Ich war voller Freude, habe abends im Flur getanzt und meinem Freund erzählt: „Vielleicht werde ich doch noch Tänzerin.“

Gleichzeitig war ich körperlich angeschlagen, hatte Ausfälle, war müde, hatte Kopfschmerzen. Eine Neurologin machte Tests mit mir, und am Ende riet sie mir, über Berufe nachzudenken, die man im Sitzen machen kann. Sie hat mir quasi vor mein geistiges Auge den Rollstuhl hingestellt, in dem sie mich gesehen hat.

Das hat in mir einen Schrei ausgelöst: Nein! Ich war doch hierher gekommen, um zu tanzen – das geht nicht! Und das erklärt vielleicht, warum ich so viel Energie in meine Tanzlaufbahn gesteckt habe, obwohl viele meinten, das sei eine brotlose Kunst. Das war mir völlig egal in dem Moment – weil es stand dieses Bild im Raum.

Ich meine, dass ich mich gesund getanzt habe. Deshalb wollte ich auch Tanztherapeutin werden. Weil ich weiß, dass tanzen heilt – und ganz besonders die Bauchtanzerei.

Später kam Yoga dazu, das auch eine wichtige Rolle spielte. Ich habe eine fundierte Ausbildung für eine sehr sanfte Form von Yoga gemacht, auch „Meditation in Bewegung“ genannt: Es geht nicht darum, ob du deine Nase aufs Knie bringst. Es geht darum, ob du wirklich bei der Übung bist, spürst du deine Grenzen und wenn ja, wie gehst du damit um? Bügelst du drüber oder dürfen sie sein? Was sagt dein Körper gerade, ungeachtet deiner Nachbarin, die ihre Nase aufs Knie bringt… und so weiter.

Larissa: Was war mit der Krankenhaus-Einweisung?

Bea: Ich habe sie nicht angetreten. Ich hatte eine klare innere Stimme: Es geht mir schon schlecht, ich kann jetzt nicht ins Krankenhaus. Ich gelangte an den Kontakt einer Heilerin. Wir hatten nur eine Stunde: Sie diktierte mir Affirmationen, Diätpläne, Methoden zur Umformulierung negativer Gedanken in Mut, in Kraft, in Hoffnung – das wurde mein Wegweiser. Ich habe mich da wirklich hineingekniet, hatte ich alles auf eine Karte gesetzt – Yoga und Tanz.

Larissa: Du hast dich so selbst geheilt?

Bea: Ja, ganz sicher. Ich bin überzeugt davon. Ich hatte das Gefühl: Ich bin auf die Welt gekommen, um zu tanzen. Und diesen Weg bin ich gegangen. Das war mein Heilungsweg – mit Yoga, Tanz und meiner inneren Stimme.

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Larissa: War es dir dann auch wichtig, den Bauchtanz zu teilen?

Bea: Ja, ist es auch heute noch. Weil ich weiß wie gut es tut und weiß, wie viele Frauenkörper danach eigentlich schreien: Tanz mit mir!

Es war mir auch immer wichtig, Frauenräume zu schaffen, in denen Frauen etwas erleben, das sie vorher nicht kannten – Solidarität unter Frauen, Miteinander. Unterstützung und Verständnis statt Konkurrenz. Deshalb auch keine Spiegel.

In orientalischen Ländern ist das selbstverständlich – Männer bleiben draußen, Frauen tanzen. Da steckt so viel Weisheit drin. Und auch Männer brauchen dringend Männerräume.

Larissa: Gibts noch was was du bei anderen Frauen wahrnimmst, was Bauchtanz bei ihnen verändert hat?

Bea: Ein anderes Gefühl zum eigenen Körper, und Heimat in sich selbst. Und wenn du die Bewegungen verinnerlicht hast: Es macht dich immer wieder weich, bringt dich in die Mitte, in die Weichheit, in das Fließende.

Larissa: Es macht dich weich, das klingt irgendwie gesund.

Bea: Genau.

Und durch die Verbindung mit der eigenen Weiblichkeit verbinden wir uns im Tanzen mit der Urweiblichkeit und damit mit den anderen Frauen im Raum.

Larissa: Wir haben uns ja beim Kreistanzen kennengelernt. Welche Rolle spielt für dich das Kreistanzen, der Kreis?

Bea: Ich stehe auf Kreise. Ich unterrichte Bauchtanz auch immer im Kreis. Beim Kreistanz geht es oft darum, sich wie ein Körper zu bewegen. Diese Gemeinschaft, sich wie ein Körper zu bewegen, hat so eine große Kraft: Keiner tanzt aus der Reihe, ist schöner, größer, besser – man verschmilzt so miteinander. Ich höre auf zu denken und lasse mich tragen.

Was mir beim Kreistanz auch so gefällt – Laura Shannon hat das gesagt: Die Frauentänze sind extra einfach, zur Ehre für die alten Frauen zum Beispiel, oder schwangere Frauen, dass die mittanzen können.

Das ist, was Kreistanz und Bauchtanz gemeinsam haben: Du kannst sie bis ins hohe Alter Tanzen.

Larissa: Bauchtanz und Sexualität – was sagst du dazu?

Bea: Es geht einerseits darum, Tabus aufzulösen – den eigenen Körper zu befreien. Diese Einschränkungen kamen mit der katholischen Kirche – Frauen so einzuschränken in ihren Bewegungen. Die Wildheit, die Frauheit – Freiheit wollte ich sagen!

Das andere ist: Es ist einfach eine lustvolle Bewegung, die lustvolle Gefühle macht. Damit muss ich nichts machen: Das kann ich mit den anderen Frauen einfach genießen und feiern. Die Verbindung zur Sexualität ist also berechtigt. Gerade über das veränderte Körperbewusstsein.

Larissa: Hast du eine Vision für dich, für Tanz?

Bea: Meine Vision ist, das Leben zu feiern. Ich finde, wir wissen alle, was in der Welt im Argen ist. Das muss man nicht ständig thematisieren. Für mich ist es wichtig, zu feiern. Es ist nicht selbstverständlich, morgens aufzuwachen, in einem Körper der tanzen kann – das dürfen wir feiern.

Ich habe viel Rückmeldung bekommen, wie wichtig meine Tanzfeste für viele Frauen waren – auch die Vollmondfeste. Diese geschützten Frauenräume, in denen frei getanzt wird. Dort möchte ich wieder hin. Im Moment geht es für mich über das Feiern: Wenn du Geburtstag feierst, warum willst du dann rumsitzen und Torte essen? Über was wollt ihr dabei reden, habt ihr das nicht schon getan eigentlich? Oder wollt ihr über Politik reden? Wirklich, an deinem Geburtstag? Warum nicht einfach tanzen? Mach doch mal was Schönes aus deiner Feier. Ich bin Tänzerin – für mich ist das die schönste Art zu feiern. Und das will ich anderen ermöglichen.

Durch meine Arbeit im Waldorf-Kindergarten bin ich finanziell abgesichert und habe die Freiheit, meine Selbstständigkeit spielerisch zu gestalten. Ich probiere Dinge aus. Und wenn es nicht klappt – auch gut.

Für mich bedeutet Feiern: mit Frauen tanzen und gut essen. Mehr brauche ich nicht.

Larissa: Wunderschön.

Bea: Das kann klein sein – oder auch wieder größer. Eine Bauchtanzparty mit 30 Frauen ist ein echter Genuss.

Alle machen sich schön – für sich selbst und füreinander. Es ist ein besonderer Moment, ein Heraustreten aus dem Alltag. Eine Begegnung mit der Weiblichkeit. Das ist meine Vision.

Larissa: Wie kann man mit dir Kontakt aufnehmen?

Bea: Früher habe ich meine Flyer nachts am Schreibtisch gebastelt. Das hat mir Spaß gemacht. Dieses ganze Internetzeug – das ist nicht meine Welt. Ich habe jahrelang versucht, die perfekte Visitenkarte zu gestalten. Es wurde nie perfekt. Alles ist im Fluss. Und als ich kürzlich wieder keine Visitenkarte dabei hatte, habe ich nachts bei Vistaprint eine erstellt. Einfach, aber schön.

Female Dance CircleEvents und Feiern

 

 

 

 

 

 

 

Ohne Foto, nur zarte Farben, ein Blütendesign. Alle Frauen, die sie bekommen haben, sagen: Die passt genau zu dir.

Larissa: Danke für dein Teilen, für dieses berührende Gespräch!

 

Tanzgattung