Trans Art Works Taipei: Cecilia Li – Piano/ Sebastian Prantl - Tanz

Das Leben
als Kontinuum -Tanz der Dinge - ist in seiner Üppigkeit und Besonderheit für
uns individuell erlebbar und durch den stetigen Wandel im sozialen Gefüge nur
begrenzt im Kollektiven fassbar. Wir können davon erzählen, wir können uns
(gemeinschaftlich) erinnern und Schlüsse daraus ziehen. Wir können auch davon
tanzen und unsere Regungen bildlich ausschmücken…Wir sind vorwärts gerichtet
und leben aus uns heraus (unsere Kinder spielen schier endlos ohne Rücksicht
auf Zeit und Bedeutung…).

Vergangenes
wird verarbeitet; aber auch oft unvergoren ab-gespeichert. Der offene, freie Blick auf die Welt kann sich eintrüben… Wenn wir unsere wertvolle, jedoch begrenzte
Zeit „wahrhaftig“ genießen, gelingt ein stetiges Zelebrieren der Veränderung,
eine zuträgliche Verhaltensweise in Zeit und Raum. Wir gestalten diese nach
unseren Vorstellungen („Freizeit ist Luxus“) und vermeiden Monotonie. Wir
nennen es auch Improvisation.

In den
ursprünglichen Kulturen unseres Planeten wurde Zeit mittels Tanzaktivität
gemessen, zelebriert und kultiviert: Die Aborigines Australiens beobachten das
eigene Verhalten und dessen Veränderung in mannigfaltigen Ritualen und erfreuen
sich an „Neuem“ im Tradierten, ohne es ‚anzuhäufen‘ (Repertoire). Im Jazz aus
den Wurzeln afrikanischer Musik/Tanz entstanden, ist die Beobachtung der
(musikalischen) Veränderung im primären Fokus, wenn z. B. ein ‚real-time-kompositorischer‘
Übergang gelingt, ist ein Raunen durch das Publikum erlebbar und beflügelt
beide Seiten des „Musiktheaters“ in gleichem Maße.

Im
Tanztheater ist seit der Post-Moderne (70iger Jahre) der Begriff ‚Real-Time-Komposition‘
präsent und wurde geprägt durch die ‚Judson Group‘ in ihrem Downtown Milieu von
Manhattan auf der Suche nach dem uneingeschränkten kreativen Prozess. Mit Hilfe
von performativem Kunst(schaffen) ist der Blick auf die (bekannte) Welt
neu geworfen und beflügelt, ohne dabei in die Falle der tradierten Avantgarde zu fallen, eine neue Generation von 'Theatermenschen'. Es
ging um die Erneuerung der Welt -während in Vietnam ein grauenvoller Krieg
stattfand. Theorie und Praxis sollte verschmolzen werden, ohne die Erungenschaften der Moderne preiszugeben. Es galt bereits Erlebtes, Erörtertes zu sublimieren, auch zu unterbrechen – des Unterbrechens Sinn ist das Weiterführen… 

Der
Zustand des Improvisierens versucht den Blick auf den (Zeit-)Prozess des
Entdeckens und Wahrnehmens selbst zu werfen und die Welt dabei neu entstehen zu
lassen. Hinter den bekannten Mustern und Attitüden wird grundsätzlich Neues - das Unbekannte - aufgespürt. So wird künstlerisch Angedachtes spontan
de-konstruiert und einer uneingeschränkten, unbetitelten Veränderung unterworfen. Im Zustand in Schwebe, im Modus Operandi, im ‚Flux‘ entsteht das
Eigentliche, eine neue Freiheit die zur (Dis-)position steht – jedoch mit
Positionsbezug: ‚COMPOSITION‘, diese ist schicksalhaft.

Es
scheint nicht notwendig, den Unterschied zwischen Objekt und Subjekt (des
Körperlichen) auszumachen, es ist vielmehr interessant den ‚Übergang‘ zu
konstatieren… Diese Zwischen-räume könnten im Post-Kapitalismus – auch ‚Age of
Anger‘
(Pankai Mishra) genannt – neue Qualitäten eröffnen, wo Produktion und Manipulation zu
Gunsten von Prozess und Verantwortung, Gier und Beschuldigung zu Gunsten von
Teilhabe und Gemeinwohl Realität werden.

Fragment
– Kontinuum

Die
Auseinandersetzung mit (Tanz-)Kunst innerhalb zunehmend-divergierender Zustände
gewinnt im Kontext der Globalisierung – mit dem damit einhergehenden
Wertewandel und einer sich stetig beschleunigenden Veränderbarkeit von Wahrnehmung
– eine neue Dimension. Dies erzeugt eine "notgedrungene Gelassenheit"
in mir, ‚Dinge‘ entstehen zu lassen: Fragmente (flashes), im Opus langjähriger
choreografischer Erfahrung neue Bedeutung zukommen zu lassen. Rezipierte Bilder
suggerieren – durch die Variable der Bewegung – einen aufregenden Duktus in
und mit Körpern und sind weiterhin primärer Fokus meinerseits. In entsprechend
wertschätzender Haltung im Miteinander und Gegenüber zu ProtagonistInnen/Studierenden
differenziert sich die ‚choreografische Feldarbeit‘ als spannend und animierend.
Im Akt des Sehens/Beobachtens und Erkennens erfährt Zeit und Raum Differenzierung,
Strukturierung und Potenzierung.

 

 

 

 

 

 

 

 

Sebastian Prantl, Heldenplatz

Rückschluss

Meine
choreografische Sichtweise richtet sich nach Materie – Materie ist
Körperliches, Körperliches in Bewegung. Der Akt der Schöpfung, das Aufzeigen
und Ausstellen des Körperlichen birgt die Möglichkeit der Betrachtung, das Sehen
des Hervorgebrachten

  • Zeit
    gestaltet sich durch Veränderung der Dinge
  • Raum
    konkretisiert sich durch sinnstiftende Bewegung im Selben

Wir
werden uns der profunden Implikationen bewusst, welche die Beschäftigung mit
und um uns durch die Betrachtung, das Sehen des Anderen auslöst. Wenn wir etwas
erzeugen, formen wir Identitäten, knüpfen Verbindungen und Strukturen zwischen
Ethik und Ästhetik (und Politik). Strukturen basieren auf bewegenden Bildern:
Umschichtungen, Transformationen und Metamorphosen…

Das
bewegte Bild

Bildhafte
Verwandlungen entstehen im Sehen des Anderen. Es baut sich ein Vis-à-vis auf.
Diese Bilderwelten umspannen getrennte Teile eines (Bühnen-)Raumes. Es sind
Bilder, von denen wir träumen, nach welchen wir uns sehnen, die uns prägen und
berühren. Sie erzählen von der Veränderbarkeit der Dinge, den Regungen in und
um uns und formen dabei die Außenwelt. Als Betrachtende erleben wir diese
Zustände, verbinden sie und reimen sie zu Szenen und Stückwerken:

Leere/Fülle
– Hohlräume/Belebung - Katharsis/Erschöpfung - Klang/Rhythmus - Resonanzen/Dissonanzen
- Männlich/Weiblich… Es entsteht Bewegung im Sinne von imaginärer Raum-Zeit. 

Bewegung
ist Regung – (E)motion……Tanz(Theater)

Tanz sind
„beschleunigte“, pulsierende Bilderwelten in mannigfaltiger Weise und
vielschichtigem Kontext: Kulturell-geprägte Chiffren konkretisieren diese
Zusammenhänge, abstrahieren Geschichten, regenerieren und sublimieren
Emotionen: (E)motion = Bewegung.

Ohne
Regung keine Bewegung, vom mikroskopischen Kleinen bis ins Unendliche: 

  • kaum
    messbare molekulare Sinnesschwankungen
  • kurze
    fragmentierte Traumbilder (flashes)
  • erkennbare
    Bilder und Wortchiffren
  • Titel und
    erzählbare Geschichten
  • ausdrückliche
    Szenen
  • choreografische
    Tanzdramen
  • Makro-Theater
    des Lebens…

Tanz als
Fluidum dazwischen: Chinesisch: "CHI"

 

 

 

 

 

 

 

 

Sebastian Prantl & Yoshito Ohno

Zurück
nach vorne?

"The
brain is a muscle": Yvonne Rainers provokante Aussage von 1962 (ein
Manifest der Post-Moderne) verhalf der zeitgenössischen Tanzperformance zur
Distanzierung vom kultisch-theatralischen Bühnenereignis der Moderne hin zum
konkreten Tanzgeschehen in Zeit und Raum. Die Dächer von Soho, die Lofts und öffentlichen
Räume (von Universitätszentren) eröffneten bahnbrechende Raumkonzepte und
führten zu neuen Diskursen. Yvonne Rainer prägte damals mein choreografisches
Studium am ‚Whitney Independent Study Program‘ der frühen 80iger Jahre
nachhaltig: ihre schlichte, abwartende Haltung vermittelte Vertrauen und
bremste unser junges Ego… 

Fast
gleichzeig sprengte das deutsche Tanztheater von Pina Bausch den Rahmen von
"innen", indem sie aus der Guckkastenbühne alle erdenklichen Bilder
herauswachsen ließ. Ihre These: "Ich interessiere mich nicht dafür, wie
die Tänzer sich bewegen, sondern was sie bewegt!" lenkte den Blick auf ein
tief empfundenes kontinuierlich wachsendes Gesamtkunstwerk, um es vor und mit
dem Publikum zu dekonstruieren. Auch Pina hinterließ Ihren Stempel auf meiner
jungen ‚Laufbahn‘. 

Zu dieser
Zeit war das österreichische Tanztheater nur zaghaft vorhanden. Ich hatte das
Privileg, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein und ‚Dinge‘ anstoßen zu
können. Es begann im Wiener WUK, wo wir die erste Tanztheatergruppe formierten
und z.B. die ersten Contact-Improvisations-Jams organisierten, die zu unseren
ersten Stücken heran wuchsen… 

Auch nach
fast 50 Jahren von Y. Rainers und P. Bauschs Beiträgen stellt sich die Frage:
In welchen Zeiträumen, mit welchen Mitteln, an welchen Orten und für welches
Auge entwickelt sich Tanztheater?

Mein
Beitrag dazu ist: Wach, zuversichtlich und veränderbar meine Haltung an
Entwicklungen/Lösungen zu erproben und kommunikativ-authentische Prozesse mit
KollegInnen und dem Publikum zu teilen (Trans Art Works). 

Es ist stets Zeit, den Tanz der Dinge neu zu
entdecken. Eine entschleunigte, dialogische Betrachtungsweise könnte dabei
hilfreich sein.     

 

 

 

 

 

 

 

 

Sebastian Prantl & Ku Ming- Shen                                                                                           

Fotoquellen: Copyright Sebastian Prantl