"Unsere Politiker sollten sich die Zeit nehmen und Begena-Musik hören, dann wäre die Welt ein besserer Ort", sagt Ermias Haylay. Ermias ist ein junger Debtera, der Äthiopisch Orthodoxen Kirche und er ist ein Meister im Spiel der Begena, der Harfe des biblischen Königs David. Debteras werden in Äthiopien von Kindheit an ausgebildet in den Ritualen der äthiopischen Kirche. Sie singen und tanzen in den Gotteshäusern bei kirchlichen Zeremonien und sie sind bekannt als Heiler und Magier, mit Zugang zu uraltem, verborgenen Wissen. Wir treffen Ermias in der Karwoche vor Ostern, in seiner gerade neueröffneten Begena Schule. In diesen Tagen sind er und seine Schüler sehr beschäftigt. In den christlichen Fastenzeiten vor Weihnachten und Ostern gehen viele Gläubige in Äthiopien täglich zur Kirche. Die ruhigen, sonoren Klänge der Begena helfen ihnen, sich im Gebet zu sammeln und sich zu konzentrieren.
"Die Musik und der sie begleitende Gesang wirken sehr kraftvoll. Sie bringen unseren unruhigen Geist zur Ruhe, helfen, uns zu konzentrieren und zu fokussieren", sagt Ermias. "Ich glaube, das ist sehr wichtig, gerade in unserer Zeit mit ihren vielen Ablenkungen, mit Internet und diesem seltsamen Lebenswandel besonders in unseren Städten, weit weg von den Rhythmen der Natur. Unsere Schwingung stimmt nicht mehr. Was wir aufnehmen, was wir sehen, was wir hören, unsere Nahrung, wie wir die Welt sehen, nichts ist mehr stimmig. Unser Leben ist nicht mehr in Harmonie. Unsere Welt ist verstimmt. Die Begena-Klänge helfen, uns wieder zu verbinden, mit den natürlichen Schwingungen, mit Gott. Die ganze Welt sollte dieses unglaubliche Instrument kennenlernen."
Ermias freut sich über unsere Einladung nach Deutschland. Bisher war er noch nicht in Europa. Wir versuchen für das Frühjahr 2026 Auftritte, Seminare und Workshops für ihn zu organisieren - und Heilmeditationen mit seiner Musik. Seit einigen Jahren schon arbeitet Ermias Haylay mit Ärzten der Universitätsklinik von Addis Abeba zusammen. In Studien zeigte sich, dass die Klänge dieses altertümlichen Instruments tatsächlich erstaunliche Wirkung zeigen, etwa bei Alzheimer Patienten oder bei Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS). Die tiefen Klänge helfen zur Ruhe zu kommen und im Hier und Jetzt zu sein.
Die Begena gilt in Äthiopien als heiliges Instrument. Nach der Überlieferung spielte Israels König David dieses Instrument und schrieb dazu die 150 Psalmen der Bibel. "Wir sehen König David als das Herz Gottes. Seine Schriften sind Gottes Wort", sagt Ermias. Die einzelnen Teile des Instrumentes besitzen geheime und heilige Namen. Eigentlich ist das Instrument keine Harfe, sondern mehr eine Leier. Die 10 Saiten erinnern an die 10 Gebote. Die beiden seitlichen Arme sind nach den beiden Erzengeln Michael und Gabriel benannt. Der Klangkörper selbst trägt den Namen der Jungfrau Maria, denn sie ist das Fundament der Orthodoxen Christen in Äthiopien. Die Begena ist nicht für weltliche Unterhaltung gedacht. Sie wird nie in Bars oder Kneipen gespielt. Zu ihren Klängen wird auch nicht getanzt. Sie macht die Menschen ruhig, offen zum Zuhören. Es ist ein Soloinstrument, das allein erklingt.
Zum Tanz nutzen die Debteras der äthiopischen Kirchen andere historische Instrumente - Gebetsstock, Sistrum und Trommel. Es ist nun schon 30 Jahre her, dass ich zusammen mit Maria-Gabriele Wosien zum ersten Mal nach Äthiopien gekommen bin. Gabriele machte sich auf, in dieses geheimnisvolle Land an den Quellen des Blauen Nils, mit seinem einzigartigen, archaischen christlichen Traditionen, um die Tänze der Priester zu erforschen. Ich war eingeladen, sie mit der Kamera zu begleiten. Daraus entstand die Film-Dokumentation 'Christliche Traditionen in Äthiopien', die wir gerade wieder neu herausgegeben haben. Das Land, seine Kultur und Geschichte lassen uns beide nicht mehr los. Auch an dem Projekt mit Ermias Haylay arbeiten wir wieder zusammen.
Für manche sind auch die Priestertänze in Äthiopien eine Erinnerung an König David, an seinen 'Tanz vor der Bundeslade', wie ihn die Bibel beschreibt: "David tanzte voller Hingabe neben der Bundeslade her, um den Herrn zu loben. Er war nur mit einem leichten Leinenschurz bekleidet, wie ihn sonst die Priester trugen. Jubelnd brachten David und alle Israeliten, die ihn begleiteten, die Bundeslade nach Jerusalem, und die Musiker bliesen ihre Hörner." (2Samuel 6,14-16)
Die Bundeslade war das höchste Heiligtum der Israeliten. Für sie baute Davids Sohn Salomon den Tempel in Jerusalem. Laut Bibel war die Bundeslade eine vergoldete Truhe aus Akazienholz. In ihr wurden die zwei Steintafeln mit den zehn Geboten aufbewahrt, die Moses von Gott auf dem Berg Sinai empfangen hat. Auch der grünende Stab seines Bruders Aaron und die sagenhafte Speise Manna soll in der Bundeslade aufbewahrt worden sein. Sie gilt als mächtiges Symbol für den Bund Gottes mit dem Volk Israel.
Doch die Bundeslade gilt seit fast 3.000 Jahren als verschollen. In vielen Teilen der Welt wurde nach ihr gesucht. Sie soll wunderbare, überweltliche Fähigkeiten verleihen. Der Hollywood Regisseur Steven Spielberg hat diesen Mythos publikumswirksam in seinem Thriller 'Jäger des verlorenen Schatzes' verarbeitet.
Als ich vor 30 Jahren diesen Mythos bei einem Interview mit Patriarch Paulos, dem damaligen Oberhaupt der äthiopisch-orthodoxen Kirche ansprach, antwortete er mit lauter fester Stimme: "Die Bundeslade ist hier in Äthiopien, in der alten Kaiserstadt Aksum. Sie ist hier. Glauben Sie es!" Auch nach einer Audienz bei Papst Benedikt XVI. in Rom sagte Patriarch Paulos: "Äthiopien ist der Thron der Bundeslade, seit hunderten von Jahren schon. Die Bundeslade ist nicht von Menschenhand gemacht. Sie ist ein Geheimnis."
Wie die Bundeslade nach Äthiopien gekommen ist, erzählt das Nationalepos Kebra Negast aus dem 13. Jahrhundert: Makeda nennen die Äthiopier die Königin von Saba, von deren Besuch bei König Salomon in Jerusalem auch die Bibel berichtet. Nach äthiopischer Überlieferung brachte Makeda bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien einen Sohn zur Welt, den sie Menelik, 'Sohn des Königs' nannte. Als junger Mann besuchte Menelik seinen Vater Salomon. Als er wieder in seine Heimat zurückreiste, begleiteten ihn die erstgeborenen Söhne der Leviten, der Priesterklasse Israels. Heimlich nahmen sie die Bundeslade aus dem Tempel Salomons und brachten sie mit nach Äthiopien. Menelik wurde erster Kaiser der salomonischen Dynastie. Ihr letzter, sein 225. Nachfolger, war Kaiser Haile Selassie, der Äthiopien bis 1975 regierte.
Sind die Tänze der Priester nun eine Erinnerung an die Bundeslade und an König David? Die äthiopische Kirche selbst führt die Gesänge und Tänze auf den Heiligen Yared zurück, der sie im 6. Jahrhundert von Gott empfangen haben soll. Die
Instrumente, die Trommel und das Sistrum, finden sich bereits auf ägyptischen Hieroglyphen aus uralter Zeit. Ob sie in einem Zusammenhang stehen, mit den äthiopischen Traditionen? - Es gibt noch viel zu erforschen.
Foto: Ermias Haylay mit einer Begena (c) Ermias Haylay
- Anmelden oder Registieren, um Kommentare verfassen zu können