Heast as net wia die Zeit vergeht ...

Aufgehoben im großen Strom der Zeit

 

Uhrwerk pixabayAls Kind habe ich in stillen Stunden oft dem Ticken der Küchenuhr gelauscht oder dem leisen rhythmischen Pendel der Wanduhr und ihrer Stundenschläge. Das Mysterium der Zeit, hörbar gemacht, Zeit die vergeht und doch immer bleibt und wieder weitergeht. Wie mein Herzschlag, wie der Herzschlag der Erde, wie der Herzschlag und Rhythmus von allem, was ist. In der Coronazeit ist ein wunderbares Lied zu mir gekommen. Hubert von Goisern hat es 1992 komponiert und im oberösterreichischen Dialekt mit den Alpinkatzen gesungen. Mit seinen Liedern positionierte er sich gegen den damals aufkommenden Rechtsruck. In einer neuen zauberhaften Cover-Aufnahme von 2017 singen Ina Regen und Conchita das Lied ‚Heast as net‘ im Wechsel. Ihre Stimmen, kaum voneinander unterscheidbar, verschwimmen ineinander.

Heast as nit, wia die Zeit vergeht (Jodler)
Gestern no' ham d’Leit ganz anders g’redt (Jodler)
Die Jungen san alt wordn und die Alten san g’storbn (Jodler)
Und gestern is‘ heit word‘n un heit is bald morg’n (Jodler)
Heast as nit, heast as nit (Jodler)
Heast as nit, wia die Zeit vergeht (2x)

Ich habe dazu einfache Schritte gesetzt (ähnlich der Balance von Bernhard Wosien), die ich schon lange unter dem Titel ‚Zeiten‘ zu verschiedenen schönen Musiken tanze als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Manchmal auch als die drei Lebensalter SchwarzWeiß-Rot.

Tanzbeschreibung Zeiten
Rhythmus: 4/4, alle Schritte gleich lang
Formation: Kreis oder offener Kreis, V-Fassung
Stil: meditativ und beschwingt zugleich
Einsatz: am schönsten nach 10 Takten bei ‚gestern no‘

Tanzschritte:
zur Mitte gewandt, mit dem Körper leicht in die jeweilige Blickrichtung
R seit, L kreuzt hinten, zurückschauen (Vergangenheit)
R seit, L kreuzt vorne, vorschauen (Zukunft)
2 x R - L wiegen (Gegenwart) in den Kreis/zur Mitte schauen
Das Hier und Jetzt bekommt als wesentlicher Moment die doppelte Zeit.

 

Es war bewegend, als wir das erste mal nach Corona wieder im Kreis zusammenkamen, uns mit diesem Lied tanzend zu erinnern, dass Zeit vergangen ist, wir älter geworden sind und vieles durchlebt haben, manches sich verändert hat und einige zwischenzeitlich auch gegangen sind. Eine der Tänzerinnen, Barbara - auch sie tanzt jetzt auf der anderen Seite - schenkte uns das schöne Bild, Musik und Schritte erinnerten sie an das Pendel einer Uhr.

Als meine Mutter diesen September über die Schwelle in die Zeitlosigkeit gegangen ist, habe ich - wie das früher üblich war - das Pendel ihrer Wanduhr angehalten. Und dann irgendwann wieder angestoßen, denn ich will noch ein wenig weiter gehen und tanzen - auf dieser Seite.

Das Tanzen zu dem Lied ‚Heast as net wia die Zeit vergeht‘ ist berührend, und am Ende stehen wir noch eine Weile mit dem tröstlichen Gefühl, aufgehoben zu sein im großen Strom der Zeit, in dem Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart eins sind. Vergänglichkeit und Endlichkeit in der Unendlichkeit.

Einen jeden Herzschlag lang sind wir verbunden mit denen, die vor uns waren und nach uns kommen, sie tanzen mit uns und hinter uns im großen Kreis des Lebens. Wie das Pendel einer Uhr gestalten wir mit jedem Schritt tanzend die Zeit, die uns hier und jetzt gegeben ist.

In der Trauerpost meiner 95-jährigen Mutter fand ich einen Satz: Denk nur, wie viele Leben sie in ihrer Zeit berührt hat. Und das gilt für uns alle, egal wie alt wir werden.

Oktober 2023

 

 

 

Link zur Musikaufnahme: Hubert von Goisern-Cover von Conchita Wurst und Ina Regen DEC 15 2017 (ein schönes Video mit Ina und Conchita auf youtube; aufgenommen „Am Himmel“ über den Weinbergen von Wien). Songwriter: Hubert von Goisern und Wolfgang Staribacher 1992

Bild: pixabay

Dieser Beitrag ist erstmals in der Zeitschrift "Neue Kreise Ziehen" (Ausgabe November 2023) erschienen.

Zum Ausdrucken gibt's ein pdf (siehe unten).

 

Materialien