II. Ananke Die Macht des Schicksals

Ananke-griech.MythologieDie grundlegende Überzeugung der griechischen Mythologie war, dass es vor dem Schicksal, welches das eigene Leben bestimmte, kein Entkommen gab, wie unbelastet und frei man auch glaubte zu sein. Zwar erkannte man den ‚tragischen Inhalt des Lebens‘ an, ohne ihn aber als die letzte Wirklichkeit zu akzeptieren. Das Leben nach einem scheinbaren Tod geht aber nur dann weiter, wenn ihm durch die Dankbarkeit der Menschen Dauer verliehen wird. Das ist der Fall bei Helden: Ihre Handlungen leben weiter, weil die Dichtung und andere Künste sie verewigen und sie so zu dauerhaften Symbolen werden lassen.

Perfektes Gleichgewicht, der stabile Anker des Universums, wurde durch die urzeitliche Göttin Ananke garantiert. Sie tauchte auf am Beginn der Zeit, aus sich selbst erschaffen als ‚körperloses, schlangenhaftes Wesen aus reiner Energie, die mit ihren ausgebreiteten Armen das ganze Universum umspannte‘.

Als Ananke zuerst erschien, umschlang sie ihren Gemahl Chronos, den Gott der Zeit, mit schlangenhaften Windungen; und so umwanden beide das Ur-Ei von fester Substanz. Dieses kosmische Ei brach schließlich auf und wurde zur Erde, zum Himmel und zum Meer; dies war der Anfang aller Strukturen des Universums. Man stellte sich Ananke vor ohne Gesicht, als immer gegenwärtig in der Dunkelheit eines urzeitlichen Raumes mit Macht über alle Götter. Sie wurde als Verkörperung eines überpersönlichen Schicksals betrachtet, das durch sie die Handlungen der Götter und Menschen im Gleichgewicht hielt.

Manche Philosophen vermuteten, dass selbst der Zustand des reinen Seins durch die Fäden der Ananke gebunden war. Man stellte es sich als eine Art Seil vor, das alles in festgelegten Grenzen hielt. In Platons ‚Politeia‘ war Ananke die Mutter dreier Schwestern, den Moiren Klotho, Lachesis und Atropos, die das persönliche menschliche Schicksal auf der Basis von Gerechtigkeit und Tugenden der Moral bestimmten. Im Netz der Fäden der drei Moiren war alles so miteinander verbunden, dass kein Individuum die Übersicht über alle Möglichkeiten oder deren Einfluss haben konnte. Vom Moment der Geburt an, so glaubte man, war das Haupt jedes Sterblichen von einem unsichtbaren Netz umspannt, das die Töchter der Ananke gewebt hatten. In leuchtende Gewänder gekleidet, schufen die Moiren zusammen den heiligen Lichtfaden. Seine Länge war Teil der Einheit, die wir Leben nennen, und es oblag auch ihrer Verantwortung, dass jeder Seele, ehe sie in einen Körper eintrat, ein Schicksal zugeteilt wurde.

Wenn ein Individuum eine bestimmte Zeitspanne gelebt hatte, wartete der Tod. Die Schicksalsgöttinnen konnten drei Arten von Tod zuteilen: Völligen Bewusstseinsverlust, einen gewaltsamen Übergang oder Auflösung. Nicht einmal Zeus hatte die Macht, eine von den Moiren vorherbestimmte Lebensspanne zu beeinflussen. Er konnte nur zur Mittagszeit seine goldene Waagschale betrachten um zu sehen, wessen Tag enden würde. Jede Seele, die einmal auf dieser Waage gewogen wurde, lebt aber nicht nur einfach ihr Leben. In der Zeit, auf der menschlichen Ebene, entwickelt sich jeder Mensch, erfüllt sein Schicksal und stirbt. Auf einer anderen Ebene aber existiert die Zeit nicht. Diese Ebene wurde als die wahre, ewige Dimension des Lebens betrachtet, wo jede Handlung, die auf der Zeitebene ausgeführt wurde, von der Dimension der Ewigkeit her bestimmt war. Dies ermöglichte es, alle menschlichen Handlungen einem ursprünglichen Gesetz zuzuschreiben.

Nach Hesiod (ca. 700 v. Chr.), einer der ältesten griechischen Quellen, war Eros, der geflügelte Gott der Liebe, einer der ursprünglichen Götter, die im Kosmos erschienen, der vierte nach Chaos, Gaia (Erde) und Tartaros (unendliche Tiefe der Unterwelt). Die Orphischen und Eleusinischen Mysterien nannten Eros den Sohn von Nyx, der Nacht, während spätere Quellen ihn als Sohn der Aphrodite, der Göttin der Schönheit und Liebe verehrten. Es war die Kraft der Magie, die Erfüllung des Lebens durch die Liebe, die Eros als Sohn der Aphrodite symbolisierte und dem Leben seine Strahlkraft verlieh. Dafür lohnte es sich auch, alle Lebensphasen zu durchleben, angesichts der Unabwendbarkeit der durch Ananke herrschenden Schicksalsmacht, welche Götter und Menschen gleichermaßen regierte.

So war es auch die Liebe der Ariadne zu Theseus, die sie ihr eigenes menschliches Potenzial verwirklichen ließ und sie aus dem unterirdischen Verließ befreite, in dem sie gefangen war. Im Kontext des Mythos ist Ariadne ein Unterpfand im Schicksalsspiel der Götter, als sie sich gezwungen sieht, ihre menschliche Liebe für die göttliche Liebe des Dionysos zu opfern. Auf Naxos wird sie Priesterin in seinem Kult; und als sie in den Armen des Gottes stirbt, der sie über die zum Menschsein gehörenden Sinneserfahrungen hinausführte, wird sie durch die göttliche Intervention von Zeus dadurch belohnt, dass er ihr ‚die himmlische Krone des Lebens‘ verleiht, wodurch sie unsterblich wird.

Aus: Ariadne – Wandlungen im Tanz, Booklet Seite 41-44, Copyright © 2017 Maria-Gabriele Wosien, Vertrieb: www.metanoia-verlag.ch

Link zum Artikel: Ariadne: Entwicklung und Integration - Essayistischen Betrachtungen aus Sicht der Psychosynthese von Dr. med. Ursula Kreye

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