In Indien ist der Tanz ein wesentlicher Bestandteil des kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Lebens. In der hinduistischen Mythologie nimmt der Tanz eine besondere Rolle bei der Erschaffung der Welt und des Menschen ein. Durch den Tanz entsteht Ordnung aus dem Chaos, durch ihn kommt es zum ewigen Kreislauf von Schöpfung und Zerstörung. Die Vorstellung von tanzenden Gottheiten ist in Indien weit verbreitet. Bei den Darstellungen handelt es sich meist um hinduistische Gottheiten wie Shiva, Vishnu und Brahma. In der Hindu-Mythologie ist der Tanz eine heilige Handlung, eine Aktivität, die älter ist als die Erde selbst. Dem entsprechend soll Shiva, der Gott der Schöpfung und Zerstörung, die Welt mit seinem Tanz zerstört und wiedererschaffen haben.

In Indien haben sich acht klassische Tanzstile herausgebildet: Bharatanatyam (Tamil Nadu), Kuchipudi (Andhra Pradesh), Kathak (Norden), Odissi (Orissa), Manipuri (Nord-Osten), Sattriya (Nord-Osten), Kathakali (Kerala) und Mohiniyattam (Kerala).

Die enorme Vielfalt Indiens an Landschaften, Völkern, Kulturen und Sprachen spiegelt sich in verschiedenen Kunst- und Tanzformen wider. Somit haben klassisch indische Tänze ihren Ursprung in lokalen Formen der Volkskunst, die durch soziale und religiöse Einflüsse der Region beeinflusst wurden.

In Indien entstand bereits um 300 - 400 n.Chr. ein erstes Buch über die Tanzkunst, das „Natyashastra“. Obwohl die unterschiedlichen Tanzstile ihre unverwechselbare Technik und Darstellung besitzen, folgen sie immer den Grundregeln des Natyashastra.

 

Die Götter tanzen

Nach einer Legende suchten die Götter Unterhaltung. So baten sie Brahma, den Schöpfer des Universums, etwas gegen ihre Langeweile zu erschaffen. Brahma konnte mit der Hilfe von Saraswati, der Göttin der Kunst, die Unterstützung des weisen Baratha Munis erlangen. Dieser schrieb das fünfte Buch der heiligen Veden bzw. Natyashastra, ein Leitwerk über Drama, Tanz und Musik. Diese Abhandlung legt die Regeln des Dramas fest, bestehend aus Rede, Pantomime, Tanz und Musik und definiert die technischen und ästhetischen Prinzipien. So werden im Abschnitt über die Mimik die Bewegungen der Augen, der Augenbrauen, der Lider, der Lippen, Wangen und des Kinns äußerst präzise vorgegeben. Bereits die Blicke werden in 36 Formen eingeteilt, die durch sieben Möglichkeiten die Augenbrauen zu bewegen, unterstützt werden. Genau beschrieben werden auch die „mudras“, die berühmten Handgesten, deren Anzahl im Natyashastra mit 64 angegeben wird. Mit Hilfe dieser „wortlosen Sprache” lassen sich sowohl konkrete Dinge wie etwa Farben oder Tiere, aber auch abstrakte Begriffe wie Wunsch oder Zukunft darstellen.

 

Kathakali – der Tanz Keralas

Besonders beeindruckt hat mich der Katha

kali-Tanz, der heilige Tanz aus dem südindischen Bundesstaat Kerala. Die ausschließlich männlichen Tänzer tragen schwere, prunkvolle Kostüme mit bauschigen Röcken und kunstvollen Kopfschmuck, sie sind stark geschmückt. Wir dürfen einen Blick in die Garderobe der Tänzer werfen – allein das Schminken kann mehrere Stunden dauern. In den Tänzen werden Szenen aus den großen indischen Epen, wie dem Mhabharata dargestellt. Die Tänzer bewegen sich auf der Bühne nur wenig, ihre Geschichte wird mit komplizierten Gesten und Augenbewegungen dargestellt. Auch Kleider und Schminke habe eine symbolische Bedeutung. Grün steht für Bewegung,Grün-Rot für Ärger, Schwarz für Dämonen und Jäger. Künstlerisch hochwertige Kathakali-Aufführungen können Indien-Reisende z. B. im Cochin Cultural Center in der südindischen Stadt Cochin miterleben. www.cochinculturalcentre.com

 

Dienerinnen der Götter

Fast alle klassischen indischen Tanzstile, haben ihren Ursprung im Tempeltanz und in der Tradition der Devadasis (Tempeltänzerinnen). Ausgewählte Tänzerinnen widmete man den Göttern, indem sie im Alter von sechs Jahren symbolisch mit dem jeweiligen Gott des Tempels vermählt wurden. So war es ihnen einerseits nicht mehr erlaubt ein menschliches Wesen zu heiraten, anderseits konnten sie als Ehefrau eines unsterblichen Gottes niemals Witwen werden. Devadasis waren respektierte Frauen, die einen hohen Status in der Gesellschaft besaßen. Sie lebten in eigenen Bezirken, die dem Tempel oder dem König gehörten und bildeten in späterer Zeit eine eigene Kaste. Als „Dienerinnen der Götter” hatten sie viele Aufgaben zu erfüllen: beispielsweise gehörte das Arrangieren von Blumen, das An- und Auskleiden der Götterstatuen oder das Rezitieren von Gebeten zu ihren Aufgaben. Sie tanzten bei täglichen Ritualen und Zeremonien und anlässlich großer Tempelfeste.

 

Rajasthan und seine stolzen, tanzenden Frauen

Neben den klassischen Tänzen gibt es bis heute unzählige Volkstänze in Indien. Besonders beeindruckt hat mich ein lokaler Tanz, den wir im romantischen Innenhof des Deogarh Mahal, eines mächtigen Palastes im Bundesstaat Rajasthan miterleben konnten. Der „Terakali“ ist ein Tanz, der die klassischen Arbeiten der Frauen darstellt. Die stolzen, schönen und starken Frauen Rajasthans, gewandet in prächtige Kleider, geschmückt mit glitzernden Armreifen stapeln große Tontöpfe auf ihren Köpfen und tanzen dann elegant und majestätisch mit ihrer schweren Last – sogar über die Klinge eines Schwertes oder über Tonscherben! Unglaublich ausdrucksstark ist dieser Tanz und märchenhaft das Ambiente im von Fackeln und offenen Feuer beleuchteten Palasthof! Lesen Sie mehr über das Deogarh Mahal

Auf nach Indien

Eine große Auswahl an Indien-Reisen, bei denen auch immer Besuche bei Tanz-Aufführungen am Programm stehen, finden Sie auf der Website von BLUEBIRD TRAVEL . Auf Wunsch organisiert BLUEBIRD TRAVEL auch spezielle Schwerpunkt-Reisen zum Thema „Tanz“.

Die Autorin:

Irmgard Unger-Eisele ist Geschäftsführerin von BLUEBIRD Travel und Asien-Kennerin. Bei ihren zahlreichen Indien-Reisen ist sie immer wieder fasziniert von der Vielfalt der Tänze und der Kunstfertigkeit und Ausdruckskraft der TänzerInnen.