Die Fragen hat mir Beate gestellt und ich habe sie für Choretaki per Email beantwortet.

  1. Du hast im Jahr 2021 eine Arbeit mit dem Titel „The Transformative Power of Sacred Circle Dance“ (dt. „Die transformative Kraft des Sacred Circle Dances“) verfasst. Was sind die wichtigsten Punkte dieser Arbeit? Mit welcher Methode erfasst Du die Daten?
    Evi2Um diese Frage zu beantworten muss ich erklären, warum ich diese Forschung überhaupt begonnen habe. Ich habe es bei mir gespürt und bei anderen, die mit mir getanzt haben auch gesehen, je länger und je intensiver wir getanzt haben, desto größer war die Wirkung. Aber ich konnte es nicht erklären. Ich wollte genauer wissen, was in unserem Körper/in unserer Seele geschieht und deswegen habe ich mich selbst als Forschungsobjekt gewählt. Die Methode, die ich benutzt habe, war die, die ich durch das Tanzen gelernt habe – präziser das Phänomen (hier, das tanzende „ich“) zu beobachten –, und sich dabei so weit wie möglich von früheren Vorstellungen zu befreien und mit neuen, frischen Augen die Details des Phänomens zu beobachten. So habe ich mich selbst beobachtet, während ich getanzt habe und meine Gedanken und Gefühle sofort nach dem Tanzen aufgeschrieben. Ich habe beobachtet, dass wenn ich ganz im Tanzen aufgegangen bin, ich eine starke Verbindung spürte, eine „verkörperte Empathie“, die alles Menschliche, alles Lebendige, und darüber hinaus umfasste. Unser Tanz ist so sehr lebensbejahend, nicht nur für die Tanzenden, sondern die transformierende Energie spürt man im ganzen Kreis und man hat das Gefühl, dass es auch die Welt verändert, und das wollen wir. Durch diesen Prozess habe ich vieles erfahren, z. B., dass ich am authentischsten bin, wenn ich tanze. Aber den Kern meiner ursprünglichen Frage, wie die Transformation geschieht, habe ich nie ganz beantworten können. Jedoch eins ist mir klar geworden, die Musik, die wir zum Tanzen wählen ist ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses, der uns ins Transpersonale führt. Dieses Phänomen, die transformierende Rolle der Musik, die zusammen mit unseren Tanzbewegungen wirkt, möchte ich gerne weiter studieren.
     
  2. Evi1Kannst Du Dich noch erinnern, wann Du das erste Mal mit dem Kreistanz – im Sinne von Sacred Dance – in Kontakt gekommen bist?
    Ich kann mich ganz genau an das erste Mal erinnern, weil es lebensverändernd war. Die genaue Jahreszahl ist mir weniger klar, aber es war bestimmt vor mehr als 25 Jahren. Ich war noch Vorstand des Instituts für Frauenstudien der Universität Maryland (USA), während ich zur selben Zeit an meinem zweiten Doktorat in klinischer Psychologie arbeitete. Weil ich immer Gedichte in meinen Seminaren benutzte, empfahl mir eine Studentin, dass ich mit ihr zu einer Tagung in Poesie-Therapie kommen sollte. Und am allerersten Abend bot Judit Andai, eine der Therapeutinnen, Sacred Circle Dance (obwohl es nicht als Therapie zählte, war es therapeutisch) an. Als ich die ersten Schritte des griechischen Tanzes „Kos“ machte – in diesem Moment – fühlte ich mich in eine andere Welt „transportiert“ und zur selben Zeit fühlte ich mich in meinem Körper und mit meiner Seele ganz „zu Hause“. Ab diesem Moment suchte ich solche Tanzkreise und Lehrer/Innen, wo immer ich sie finden konnte, auch außerhalb der USA (u. a.: Judit Andai, Diane Popper, Judith Walton, Judie David, Gwyn Peterdi, Colette de Porre, Pablo Skornick, Sergio Malqui, Shaker, June Watts, Hazel Young, Judy King, Mandy de Winter, Laura Shannon, Bobbi Bailin, Stefan and Bethan Friedman, John and Marina Bear, Kevin Meyer, Frieda Saltzman, Andy Bettis, Ahmet Lüleci, Joe Graziosi, Yves Moreau, Steve Kotansky und jetzt per Zoom Shakeh Major Tchilingirian, Friedel Kloke-Eibel, Nanni Kloke und viele andere aus Südamerika, deren Namen (bis jetzt) in den USA noch nicht so bekannt sind. Das zweijährige Training mit Laura Shannon war besonders wichtig und in Findhorn habe ich mit Peter Valence und vielen anderen studiert und besuchte öfters die Tanzwochen. Wenn ich diese vielen Namen von LehrerInnen sehe, bin ich selbst überrascht zu sehen, wie weit mich das Tanzen gebracht hat, wieviele Menschen, Tänze, Orte ... ich kennengelernt habe. Obwohl ich viele Hundert, wenn nicht Tausend Tänze in meinem Repertoire habe, bleibt Kos, einer der ersten Tänze, den Bernhard Wosien nach Findhorn gebracht hat, mein Totem Tanz.
     
  3. Kannst Du kurz schildern, wie es danach weitergegangen ist?
    Wie gesagt, ich habe eifrig in vielen verschiedenen Ländern getanzt und habe auch neue Tanzkreise in meiner eigenen Stadt gegründet. Ich war so enthusiastisch, dass ich oft dreimal in der Woche Kreise geleitet habe. Ich habe das Tanzen in die Welt hinausgetragen, an die Universität, in meine Seminare in Rahmen der Frauenstudien, wenn wir über heilende Frauen oder das Heilen der Frauen gearbeitet haben. Aber wir haben die Vorteile von Sacred Circle Dancing nicht nur theoretisch studiert, wir haben tatsächlich in Seminaren, Gruppentherapien und Coaching-Sitzungen getanzt. Ich könnte noch viele andere Gebiete nennen, wo immer jemand sich dafür interessiert hat, habe ich getanzt. Es ist mein Ziel, unsere Tanzpraxis zu verbreiten, weil es so heilend ist, nicht nur für die einzelnen, die tanzen, sondern auch im größeren Kontext der Welt. In der Industrie oder in großen Organisationen könnte das Tanzen zu einer besseren Zusammenarbeit und zu mehr kreativem Denken führen.

     
  4. Du stammst aus Wien, aus einer jüdischen Familie und musstest als 6-Jährige mit Deiner Familie vor den Nazis fliehen und hast eine neue Heimat in Amerika gefunden. Wurden in Deiner Familie traditionelle jüdische Tänze getanzt?
    Mein Vater hat jüdische Lieder in vielen Sprachen gesungen, aber meine Mutter war eine richtige Wienerin und liebte das Tanzen. Ich kann mich erinnern, das war vor der Hitler-Zeit, dass meine Eltern zum Tanzen ausgegangen sind, meist haben sie Walzer getanzt, aber keine Volkstänze. Auch ich liebe den Walzer. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass der Tanz meine spirituelle Gesundheit gerettet hat. Kurz nachdem wir als Flüchtlinge nach Amerika angekommen sind, tanzte ich stundenlang jede Woche mit einer jüdischen Jugendgruppe, die die alten israelischen Tänze getanzt hat. Beim Tanzen fühlte ich mich frei und sicher.
     
  5. Ich kenne etliche Tanzgruppen, in denen (heutige) israelische Tänze zu den beliebtesten Tänzen gehören.
    In meinen Gruppen tanzen wir oft traditionelle jüdische Tänze mit Klezmer Musik, aber diese Musik kommt aus Osteuropa, nicht aus Israel. Aber wir tanzen auch die älteren, einfacheren israelischen Tänze, wie z. B. Al Achat und Erev Shel Shoshanim. Die neuen Tänze, die jetzt entwickelt werden, sind viel zu kompliziert. Ich denke, die einfacheren Tänze sind tiefer und spiritueller. Und es gibt auch viele Tänze, die neue choreographiert wurden mit jüdischer Musik, z. B, Give Us Peace oder Karev Yom, beide von Nanni Kloke. Zu Beginn der Covid-Pandemie, als ich große Angst hatte, habe ich selbst einen Tanz, In Silence, My Soul (https://www.youtube.com/watch?v=ZroNAzR-xPM) zu einem hebräischen Gebet choreographiert, das mich und meine Mittänzer sehr getröstet hat. Aber ich habe auch einen Tanz zu einer Taizé Musik choreographiert, Laudate omnes Gentes, d. h. also zu christlicher Musik. Es ist das Spirituelle in der Musik und die vielen Traditionen, die mich anziehen.

     

  6. Evi3Was hat Dich motiviert eine Tanzausbildung zu absolvieren und was war besonders prägend für Deine weitere Arbeit?
    Der Tanz hat mich so bewegt, so verändert, dass ich die Praxis als Therapeutin aufgegeben und mich ganz dem Tanz gewidmet habe, weil ich es so heilend fand. Ich habe gesehen, dass unser Tanz für viele sehr therapeutisch war, auch für mich. Ich glaube, dass ich mich geändert habe, zum Guten. Manche, die mit mir regelmäßig tanzten, haben ihr Wesen und manchmal auch ihr Leben geändert, haben eine andere Arbeit oder sogar einen neuen Lebenspartner gewählt. Ich habe auch erfahren, dass der Tanz eine ganz große heilende Wirkung bei körperlichen Problemen haben kann. Zweimal hatte ich ziemlich große Operationen und ich habe jedes Mal vor und nach der Operation in Gedanken heftig getanzt, habe mir mich selbst ganz konkret tanzend vorgestellt und hörte die Musik. Ich hatte viel weniger Schmerzen als erwartet und war viel schneller wieder gesund.
     
  7. Wann hast Du begonnen, Dich mit der Wirkung des Tanzes zu beschäftigen? Gab es ein besonderes Ereignis?
    Ich wurde regelmäßig eingeladen den Tanz in einem Seminar an der Fielding Universität (wo ich Psychologin wurde) anzubieten, wenn Somatik und Phänomenologie am Stundenplan standen. Die Studenten mussten auch vieles über den Zusammenhang zwischen Körper und Seele lesen. Weil mich dieses Thema so sehr interessierte und besonders, weil ich selbst erfahren habe, wie das Tanzen auf mich und andere gewirkt hat, habe ich die Aufgaben auch gelesen und so weiter zusammen mit den Studenten studiert, bis ich phänomenologisch fähig wurde und selbst weiter forschen konnte.
     
  8. In einem weiteren Paper beschreibst Du, wie eine an Multipler Sklerose erkrankte Frau mit einem elektrischen Rollstuhl regelmäßig am Kreistanzen teilnimmt. Welche Bedeutung hat das Tanzen für diese Frau und was können andere TänzerInnen aus dieser Situation lernen? Worin unterscheidet sich – für Dich und die Mittänzer – dieser Tanzkreis von anderen Tanzkreisen?
    Diese Frau, Barbara, die an MS leidet hat ganz deutlich in unserem Gespräch unterstrichen, dass mit uns zu tanzen für sie sehr wichtig ist, auch wenn sie sich nur mit dem Rollstuhl bewegen kann. Erstens fühlt sie sich sehr wohl in einem Kreis mitzupartizipieren, in dem sie mit Liebe angenommen wird. In der Gesellschaft fühlt sie sich meistens als Außenseiterin, aber nicht, wenn sie mit uns tanzt. Und zweitens, hat ihre Physiotherapeutin beobachtet, dass nach längerem Tanzen manche Muskeln, die sie selbst nicht spüren kann, sich bewegten und das tut ihr gut. Sie spürt unsere Energie und die Musik bewegt sie auch seelisch. Unser Kreis ist für sie so wichtig, dass in den letzten 18 Monaten, während wir nur via Zoom tanzen konnten, sie trotzdem mitgetanzt hat, obwohl sie in ihrer Wohnung keinen Platz hatte, um sich mit dem Rollstuhl zu bewegen. Dieser Tanzkreis unterscheidet sich von allen anderen, weil wir nie ganz geschlossen tanzen können. Barbara kann Hände nicht halten und so ist der Kreis immer offen. Obwohl viele traditionellen Tänze in Linien und nicht im Kreis getanzt werden, habe ich immer erwähnt, dass offene Kreise, besonders moderne choreographierte Tänze, Energie verlieren. Ich war sehr überrascht und es hat mich auch sehr gefreut zu bemerken, dass mit dem Willen allein, unsere Energie so stark ist, dass ich ganz vergessen habe, dass unser Kreis nicht geschlossen ist. Die anderen im Kreis bewundern Barbara und sagen, dass sie viel von ihrer Courage lernen, dass sie ein Role Model ist. Anhand dieses Beispiels muss man darüber nachdenken, ob wir vielleicht „tanzen“ zu eng konzipieren und es zeigt, dass unser Tanz verschiedene Menschen einbeziehen kann, auch wenn diese z. B. nur im elektrischen Rollstuhl tanzen können.
     
  9. Noch vor der Corona-Pandemie hast Du einen Vortrag mit dem Titel „Bringing Sacred Circle Dance to Multiple Communities“ gehalten. Darin berichtest Du, wie Du mit unterschiedlichen Gruppen (z. B. während Konferenzen, in Firmen oder mit gemischten kulturellen Gruppen) tanzt. Welche Erfahrungen hast Du dabei gemacht? Worin liegt für Dich das Potential des Kreistanzes?
    Ich glaube, dass ich diese Frage schon beantwortet habe, aber ich möchte Folgendes hinzufügen. Besonders wichtig ist, dass unser Tanz ein fast unmittelbares Gefühl der Gemeinschaft schafft, was an Arbeitsplätzen oft fehlt und, dass wir keine Partner zum Tanzen brauchen, ist auch ein großer Vorteil. In anderen Tanzrichtungen oder -traditionen werden Heterosexualität und die Unterschiede der Geschlechter so stark betont. Hier, im Sacred Circle Dance, kann sich jeder wohl fühlen, alle gehören in den Kreis. Und ich weiß, dass nicht alle in unserer Tanzwelt mit mir übereinstimmen, aber ich betone immer, besonders wenn neue Tänzer dabei sind, „Es gibt keine Fehler, nur Variationen“. Und das Wichtigste ist, dass wir die Musik in uns fließen lassen. Sobald ich das gesagt habe, spürt man sofort eine Erleichterung im Raum. Und für viele ist dieser Satz besonders wichtig und sie nehmen ihn in ihr Leben mit, weil wir uns selbst so oft negativ beurteilen.
     
  10. evi1In welche Richtung möchtest Du beim Sacred Circle Dance weiterforschen? Wo siehst Du die nächsten offenen Fragen?
    Diese Frage bezüglich des Weiterforschens habe ich teilweise schon beantwortet, aber ich werde noch darüber nachdenken. Es bleiben z. B. Fragen offen: 1. Wir wollen, dass unsere Tanzpraxis verbreitet wird, aber wir wollen nicht, dass es kommerzialisiert wird, wie Yoga und Zumba. Ist das in unserer Gesellschaft überhaupt möglich? 2. Unser Repertoire ist ziemlich westlich. Könnten wir, sollten wir, Tänze und Musik von weiteren Ländern/Regionen einbeziehen? Was wären die Konsequenzen, wenn ja, wenn nein? 3. Hat das viele Zoomtanzen unsere Beziehung zum Tanz geändert? Und wenn ja, wie?

Die im Text zitierten Essays erschienen in Handbook of Transformative Phenomenologyed. Valerie Malhotra Bentz & James Marlatt. Fielding University Press, 2021.

Ältere Artikel gibt es auch auf meiner Website (https://evibeck.com/)

Vielen Dank für dieses ausführliche Interview.