Um Regen tanzen: Lebensspendendes Geschenk des Himmels an die Erde
 
Schon von Alters her haben Menschen für den Regen getanzt, der lebensspendenden Gabe des Himmels an die Erde. Regenrituale wurden als wichtige Arbeit angesehen und gewöhnlich von Frauen als den traditionellen Hüterinnen von Leben und Fruchtbarkeit durchgeführt. Sowohl das Gebären und Aufziehen von Kindern wie das Bestellen des Landes, um die Gemeinschaft zu ernähren, sind Aktivitäten, die vom Regenfall abhängen und psychisch mit ihm gleichgesetzt werden. Der Glaube an die Fähigkeit der Frauen, wenn nötig Regen hervorzubringen, stand im Zentrum der ursprünglichen europäischen Kultur und kann noch heute an vielen Orten gefunden werden. Viele der Frauentänze, Lieder und Rituale in Osteuropa und dem Nahen Osten drücken diese Verbindung aus, und die Trachten der Frauen zeigen oft lange Fransen, die das Wasser repräsentieren.

 

[FOTO1: Berbermusikerinnen und -tanzerinnen aus Taroudannt, südliches Marokko. Die langen roten Fransen ihrer Kopftücher stehen für Fruchtbarkeit und Regen. Foto: Liz Hammer, 2014.Berbermusikerinnen und -tanzerinnen aus Taroudannt, südliches Marokko. Die langen roten Fransen ihrer Kopftücher stehen für Fruchtbarkeit und Regen. Foto: Liz Hammer, 2014. 1: ]

Nach Elizabeth Wayland Barber wurden die langen Fransen mit dem langen, fliessenden Haar der Frauen gleichgesetzt, wobei beide lang hinfliessenden Strömen und damit der Quelle weiblicher Fruchtbarkeitskraft gleichen. Tanzen mit offenem Haar war ein Weg, diese Kraft freizusetzen und Regen über das Land zu bringen. Kürzlich schrieb ich in anderen Artikeln über die Peperouda Regenrituale in Bulgarien und Griechenland, in denen ein junges Mädchen mit ungebundenem Haar und in frischem Grün für den Regen tanzt; und über Tanzlieder wie Papadoula vom Berg Olympus, in denen es um eine fliegende, wolkenartige Frauenfigur geht, die dem Land Fülle und Fruchtbarkeit schenkt. Dieser regenspendende Archetyp ist weitverbreitet sowohl in alter Kunst wie in den Volksmärchen von Nereiden, Nymphen, Musen, Rusalky, Vily oder ‘Willies’.

 

[FOTO 2: Boeotische Vase, die eine tanzende Frau in traditioneller Tracht zeigt, mit langen flügelartigen Ärmeln, ungebundenem Haar und mit Wasser assoziierten Bildern: Wasservögeln, Fischen, Tieren, Vegetation, Zickzacklinien, Spiralen und Zeichen des Lebens. 6.Jhdt. vor unserer Zeitrechnung.]
 
 

T’ai Chi Master Al Huang sagt, dass gewisse Bewegungen das Wetter beeinflussen können. Indische Yogis sagen dasselbe. Wetterzauber war eine der Hauptfähigkeiten der europäischen weisen Frauen, die der Hexerei angeklagt wurden. Ich habe wirksame Regentänze bei den amerikanischen Ureinwohnern von Laguna Pueblo in Neumexiko gesehen; bei den Frauen der Aborigines in Australien und den nomadischen Berbern in Tunesien und Marokko; und in Indien, Bulgarien, Griechenland und Armenien. Als Shakeh Tchilingirian und ich in Yerevan Frauentänze erforschten, lernten wir eine Anzahl von Tänzen, die Regen beschwören, unter anderen den Tamzara der Frauen, Maymuki, und Yerek Votk (alle auf unserer CD Gorani). Wir lernten auch den langsamen Schlangenschritt, den Frauen in abgelegen Flussbetten tanzten, um in schweren Dürrezeiten den Fluss des Wassers zurückzubringen; wie aufschlussreich, dass unsere Informantin nicht wollte, dass wir den Schritt zu lange üben, denn ‘zu diesem Zeitpunkt war kein Regen notwendig’.

 

 

FOTO 3: Frauentracht der Mariden von Evros, Thrakien, mit Fransen an der Kopftracht und Zickzacklinien auf der gewebten Schürze, die beide fliessendes Wasser darstellen. Die gestickte geflügelte Göttin auf dem Oberteil symbolisiert die Fähigkeit, durch den Ritualtanz zwischen Himmel und Erde zu reisen.]

Regenrituale der Frauen werden regelmässig beim Koprivshtitsa Festival in Bulgarien durchgeführt, und manche sehen in ihnen den Grund für die flutartigen Regenfälle, die jedes Festival heimsuchen. Nach Anna Shtarbanova streiten sich die Festrichter regelmässig darüber, ob diese Rituale (deren Wirksamkeit nicht in Frage steht) weiterhin erlaubt sein sollen, da sie eine solche Verwüstung in der Stadt anrichten.  Und in Marokko, wo ich vor kurzem eine Tanz- und Kulturreise leitete, rief der König einen landesweiten Tag der Regengebete aus, nach fast einem Jahr ungebrochener Trockenheit. Aus Solidarität tanzte meine Gruppe mit ungebundenem Haar in einem fast trockenen Flussbett am Fuss des Hohen Atlasgebirges. Zur allgemeinen Freude schüttete es noch am selben Nachmittag.
 
 

[FOTO 4: Tanzen für Regen, mit ungebundenem Haar. Marokko, 2014. Foto: Laura Shannon]

 
 
Als Antwort auf den westlichen Skeptizismus gegenüber der Vorstellung, dass menschliche Aktivitäten wirklich Einfluss auf das Wetter haben könnten, haben mehr als ein osteuropäischer oder nordafrikanischer Bekannter verächtlich geschnaubt: ‘Natürlich funktionieren Regenrituale. Warum sonst würden sich Leute damit abgeben?’
 
Der japanische Forscher Dr. Masaru Emoto hat gezeigt, wie Wasser Aufmerksamkeit überträgt, Gedanken und Gefühle absorbiert, genauso wie Umweltverschmutzung. Ebenso betont der Indianerstamm der Kogi in Kolumbien, dass natürliche Wassersysteme lebendige Wesen sind, und rufen uns auf, zu verstehen, dass das Wasser erlebt und versteht, was wir ihm antun. Dieses Konzept kann uns dabei helfen, unsere Art mit Erde und Wasser umzugehen zu ändern - und dies schnell, wenn wir die kostbaren Ressourcen bewahren wollen, von denen unser Leben abhängt.
 
 
[FOTO 5: Vorbereitung der Peperouda, ein junges Mädchen mit ungebundenem Haar im Brauthemd, geschmückt mit grüner Vegetation.  Sie wird an den Flüssen tanzen, um Regen zu bringen. Smolyan, Bulgarien, 20.Jhdt.]

Meine Forschungen sowohl in Griechenland als auch in anderen Teilen der Balkanregion und des Nahen Ostens zeigen, dass Tänze und die dazugehörigen Bräuche überall schnell verschwinden, genauso wie die Reserven der Erde an sauberem Wasser oder die gefährdeten Tier- und Pflanzenarten. Ich habe bereits darüber geschrieben, dass meinem Gefühl nach traditionelle Tänze lebendige Wesen mit ihrem eigenen Bewusstsein sind, wie Wasser; und genau wie das Wasser auch, so glaube ich, antworten sie auf das Bewusstsein, mit dem wir uns ihnen nähern.

 
 
 
 

[FOTO 6: Peperouda, ein junges Mädchen eingedeckt mit grüner Vegetation, tanzt an einem Fluss, um Regen zu bringen. Chakalarovo, Südbulgarien, 20.Jhdt. Foto: Rachko Popov]

 

Lebensspendender Regen, Brücke zwischen Himmel und Erde, ist eine Metapher für Prana, Chi, die vitale Kraft, die in uns fliesst, wenn wir uns der Energie des Tanzes öffnen. Dieses vibrierende ‘Lebenswasser’ hat die Kraft, uns zu heilen und ganz werden zu lassen. Je mehr wir die Tänze und die ihnen innewohnende Kraft einsetzen, um das Gleichgewicht auf der Erde und in unseren Leben wieder herstellen zu helfen, desto mehr Grund haben die Tänze, lebendig zu bleiben, zu unserer Aufmerksamkeit zu kommen, und ihren Weg in unsere Kreise zu finden, damit wir sie als Werkzeuge für persönliche und planetarische Wandlung einsetzen können. 

 

Ausgewählte Referenzen:

Barber, Elisabeth Wayland, Women’s Work, The First 20,000 Years: Women, Cloth and Society in Early Times. W. W. Norton, 1994.
Barber, Elisabeth Wayland, ‘The Curious Tale of the Ultra-Long Sleeve’ in Linda Welters, Folk Dress in Europe and Anatolia: Beliefs About Protection and Fertility. Berg, 1999.
Barber, Elisabeth Wayland, The Dancing Goddesses. W.W. Norton, 2013.
Emoto, Dr Masaru. Messages from Water. Hado Kyoiku-Sha, 1999.
Ereira, Alan. ‘From the Heart of the World: The Elder Brothers’ Warning’ (1993) and ‘Aluna’ (2013) [films]. Tairona Heritage Trust.
Garfinkel, Yosef, Dancing at the Dawn of Agriculture. University of Texas Press, 2003.
MacDermott, Mercia, Bulgarian Folk Customs. Jessica Kingsley Publishers, 1988.
Millar, Aaron, ‘They want to show us a thinking, feeling Earth.’ Positive News, Issue 78 / Winter 2013.
Popov, Rachko, Butterfly and Gherman: Bulgarian Folk Customs and Rituals. Septembri Publishing, 1989.
Rigoglioso, Marguerite, The Cult of Divine Birth in Ancient Greece. Palgrave Macmillan, 2009.
Shannon, Laura. ‘Auf den Spuren der Musen – Tänze aus Pieria.’ Neue Kreise Ziehen Heft 2/2013.
Shannon, Laura.  ‘Musen, Musik, Magie: Sommertanzrituale in Pieria.’ Choretaki
Shannon, Laura, ‘Women's Ritual Dances, an Ancient Source of Healing in Our Time’ in Dancing on the Earth: Women's Stories of Healing Through Dance, ed. Johanna Leseho and Sandra McMaster. Findhorn Press, 2011. 
Welters, Linda, Folk Dress in Europe and Anatolia: Beliefs About Protection and Fertility. Berg, 1999.
Wosien, Maria Gabriele, Sacred Dance: Encounter with the Gods. Avon, 1974.
 

© Laura Shannon 2014, erschienen in: Neue Kreise ziehen, Fachzeitschrift für meditativen & sakralen Tanz Nr. 1/ 2014

Übersetzung: Katharina Kroeber