Martenitsa1Diesen Blog möchte ich einer heiligen Textilpraxis widmen und mit euch teilen. Die Textilien sind bevorzugt in den Farben Rot und Weiß gehalten. Damit ehren wir die Ukraine und schicken Gebete für den Frieden.Martenitsa2

Ich kann mir vorstellen, dass ihr alle meine Gefühle der Trauer und des Entsetzens über diesen Einmarsch in die Ukraine teilt. Es ist schwer zu wissen, was wir tun sollen, und es ist schrecklich, sich so machtlos zu fühlen.

Tanzen würde natürlich helfen, aber das ist nicht für alle im Moment möglich. Es gibt in Deiner Umgebung aber bestimmt einen Weg, wie Du Unterstützen oder Spenden kannst. 

Darüber hinaus möchte ich diese Praxis anbieten, die ich als sehr hilfreich empfinde: eine Meditation über ukrainische Göttinnen-Stickereien als Gebet für den Frieden. 

Goettin1Göttinnenfiguren

Göttinnenfiguren sind in der ukrainischen Volkskunst allgegenwärtig, in gewebter und bestickter Kleidung, rituellen Textilien, Töpferwaren, Malerei und Pysanky, zeremoniell verzierten Ostereiern. Stickereien mit Göttinnen finden sich in der gesamten slawischen Welt, in Osteuropa, im Nahen Osten und in Nordafrika, und sogar noch weiter entfernt, wie Mary Kelly und Sheila Paine gezeigt haben.

Das Motiv der Göttin ist sehr alt, wie archäologische Funde in der Ukraine /Link auf deutsche Wikipediaseite/ - und in vielen anderen Regionen - zeigen, die Tausende von Jahren bis ins Neolithikum zurückreichen. Überall steht die Göttin für Fruchtbarkeit, Überfluss, Wohlwollen, die Quelle des Lebens und die natürlichen Zyklen von Geburt, Tod und Regeneration.

Laut der Archäologin Marija Gimbutas können die Stickereien der Göttinnen als lebendige Embleme der alten egalitären Friedenskultur verstanden werden, die einst in dieser riesigen Region herrschte. Die Frauen, die diese heiligen Zeichen aus Stoff anfertigen, erinnern und bewahren eine Weltanschauung der Harmonie, der Schönheit, des Friedens und der Ehrfurcht vor der Erde, der Mutter und dem Kreislauf des Lebens. Die Ukraine ist auch die Heimat einer uralten Kreistanztradition, so dass die Frauen, die sticken, auch Frauen sind, die tanzen, und die gleichen lebensbejahenden Botschaften sind in den Tanzschritten und der Tanzerfahrung verschlüsselt.

Göttinnenstickereien

Göttinnenstickereien sind in allen Regionen der Ukraine zu finden, wobei jeder Bezirk seinen eigenen unverwechselbaren Stil hat. Göttinnen sind häufig das zentrale Motiv in den gewebten und gestickten Ritualtüchern, die als Rushnyky bekannt sind.

Ritualtücher – RushnykyStickerei2

Ein Rushnyk [pl. Rushnyky] ist ein langes und schmales Ritualtuch, das in der Regel aus einer Webbreite Leinen hergestellt wird und in der Regel etwa 3 Meter lang ist. Diese zeremoniellen Tücher sind bei allen slawischen Völkern und auch in anderen Ländern zu finden.

"[Rushnyky] werden bei vielen traditionellen Ritualen verwendet, insbesondere bei Geburten, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Wir drapieren sie über Ikonen, um sie zu ehren. Sie sind immer verziert, oft mit gewebten Mustern, aber noch häufiger mit Stickereien."
– Roman Kozakand, 'Zentralukrainische Rushnyk-Stickerei'

Die hier gezeigten rot-weißen Rushnyky stammen hauptsächlich aus der Zentralukraine. Die gestickten Muster werden freihändig im Stielstich umrissen und dann mit einer Vielzahl verschiedener Stiche ausgefüllt. Das gleiche Motiv ist an beiden Enden gespiegelt.

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Jedes Rushnyk ist ein Unikat, das die Kreativität und Inspiration der Frau, die es angefertigt hat, zum Ausdruck bringt; dennoch folgen sie bestimmten Richtlinien.

In der Regel werden alle vier Ränder von einem schmalen Rand gesäumt, der einen mit symmetrischen Blumenmotiven gefüllten Raum abgrenzt. Diese gehen von einem einzigen zentralen Punkt wie einer Vase oder einem Topf, einem kleinen Hügel oder Dreieck oder einer weiblichen Figur aus:

"Oft nimmt eine einzelne Blüte den Platz des Ursprungspunktes ein. Die übrigen Blüten und Blätter sind mit diesem Ursprungspunkt verbunden und bilden eine symmetrische Verzweigung. Vögel und kleine unabhängige Blumengruppen können um dieses Hauptmuster herum und in der Mitte des Stoffes verstreut sein." – Roman Kozakand, 'Zentralukrainische Rushnyk-Stickerei'

Stickerei4Sehr oft erscheint die Göttin in der Rushnyk-Stickerei, entweder als erkennbare Figur oder verkleidet in der abstrakteren, stilisierten Blumenform des Lebensbaums:

 "Der Lebensbaum enthält die Wahrheit und die Einheit der drei Welten und spiegelt das Bild des Lebens und der Familie wider. Es gibt kompliziertere Kompositionen, in denen das Baummotiv durch ein weibliches Bild ersetzt wird - eine Frau mit erhobenen Armen. Dies ist die Große Göttin oder Urmutter, die Verkörperung des Lebens selbst."
– 'Secret ancestral codes: 12 main symbols in Ukrainian embroidery'
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"Sowohl der Lebensbaum als auch die weibliche Figur werden mit der Lebensspende in Verbindung gebracht. Beide halten häufig Vögel oder sind von ihnen umgeben. Beide haben Blumen oder andere Vegetation, die entweder von ihnen oder in ihrer Umgebung entspringen. In vielerlei Hinsicht ist die Unterscheidung zwischen der Göttinnenfigur und dem Lebensbaum fragwürdig ... beide sind Motive für Kreativität, Schutz und die Erzeugung neuen Lebens."

– Natalie Kononenko, 'Goddess Figures in Ukrainian Folk Art' in The Tree of Life, the Sun, the Goddess: Symbolic Motifs in Ukrainian Folk Art,
ed. Lubow K. Wolynetz. New York: Ukrainian Museum, 2005, p 64.

In der ukrainischen Folklore hat die Göttin viele Namen und Gesichter. Sie wird in drei Hauptaspekten verehrt: Geburt, Fruchtbarkeit und Schutz.

Ich vermute, dass die wesentlichen Aspekte dieser drei Hauptgöttinnen in den drei Hauptelementen des Rushnyks zu erkennen sind: Der zentrale Ursprungspunkt entspricht der Geburtsgöttin Rozhanytsia, der Quelle allen Lebens; die Fülle und die fröhlichen Blumenmuster stehen für Mokosh, die Göttin der Fruchtbarkeit und der lebensspendenden Feuchtigkeit, des Regens und des Taus; während die schmalen Ränder entlang der Kanten des Rushnyky eine Verkörperung von Berehinia, der Göttin des Schutzes, sind.

Dies sind die Qualitäten, die die Rushnyky in uns erwecken können, wenn wir sie betrachten, und zu denen ich Euch einladen möchte, unsere Gebete in die Ukraine zu schicken.

Ich schlage Euch vor, einfach mit diesen schönen, harmonischen, fröhlichen und uralten Bildern zu meditieren und zu beten, sie im Gedächtnis zu behalten, um den Frieden in unseren Herzen zu entfachen und den Frieden in der Welt anzurufen.

Stickerei6Vielleicht können diese Stickereien, die bis vor kurzem noch von jeder Frau angefertigt wurden und in jedem Haus, in allen Regionen des Landes zu finden waren, als Empfänger für die Schwingung, Energie oder Frequenz unserer Gebete dienen. Vielleicht können unsere Liebe, unser Mitgefühl und unsere friedlichen Gedanken die uralte Weltsicht aktivieren, die diese Bilder verschlüsseln.

Stickerei7Wenn sie die heiligen Werte der Vergangenheit bekräftigen – Nachhaltigkeit und Gemeinschaft, Ehrfurcht vor der Erde und der Mutter, Schutz der Schwachen und Verletzlichen und eine Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens – können diese Werte vielleicht auch in unseren Herzen geweckt werden, heute und für die Zukunft.

Mit Liebe und Segen für den Tanz und herzlichen Gebeten für den Frieden

 

LauraLaura Shannon

 

 

 

 

 

Fotomaterial mit freundlicher Genehmigung von Laura Shannon.

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* The Wikipedia page on Ukrainian embroidery includes this beautiful photo by Pavlo Boyko of woven and embroidered rushnyky:

* 'Central Ukrainian Rushnyk Embroidery' by Roman Kozakand provides excellent information and many beautiful examples (the photo of 4 rushnyky together is from this site). His other posts on folkcostume.blogspot.com are well worth exploring too.

* 'Secret ancestral codes: 12 main symbols in Ukrainian embroidery' from Euromaidan Press.

The Tree of Life, the Sun, the Goddess: Symbolic Motifs in Ukrainian Folk Art, ed. Lubow K. Wolynetz. NewYork: Ukrainian Museum, 2005. All of the other images included here are from this beautiful book.

* Marija Gimbutas' influential books documenting Neolithic matrifocal cultures of Old Europe include The Language of the Goddess (1989), The Civilization of the Goddess: The World of Old Europe (1991), and The Living Goddesses, ed. Miriam Robbins Dexter (2001). Gimbutas said:

* See also Carol P. Christ, ‘Introduction: The Legacy of Marija Gimbutas' in Journal of Feminist Studies in Religion, Vol. 12, No. 2 (Fall 1996). 

* More images of Neolithic Goddesses at Trypilian culture in Ukraine.

* 'Ukraine commits statue-cide': In 2014, the giant statue of Lenin in the Maidan in Kyiv was replaced with a Slavic mother goddess, Berehynia